Lesebühne Kreis mit Berg

Rückblick

Das Jahr 2024 ist nun fast vorbei und ich habe noch keine Dubai-Schokolade gegessen. Eine Facebookbekannte postete das Foto einer angebrochenen Tafel und wurde für diesen Konsum kritisiert, als hätte sie ein Robbenbaby erschlagen. Ein Fall von Distinktionsgewinn durch Dubaischokoladenverweigerung?
Freunde der Alliteration durften sich über das Wort des Jahres Ampelaus freuen. Schnell wird eine Ampe-Laus draus. Das Tier des Jahres ist jedoch der Braunbrus-Tigel bzw. das Braunbrusti-Gel.
Putin drohte mal wieder mit dem Atomtod. Was die Welt jedoch an den Rand des Abgrundes führte, war das Inkrafttreten einer EU-Verordnung am dritten Juli, der in die Geschichte eingehen wird als Tag des nicht mehr abgehenden Plastikdeckels. Wütende Menschen rissen an den Deckeln ihrer Wasserflaschen wie die letzten fanatischen Verteidiger der Reichshauptstadt an der Abreißkappe ihrer Stielhandgranate, bevor sie den Heldenverdurstungstod starben.
Neben Naziliedersylt ist Borkum in diesem Jahr, wie es der Spiegel sehr schön alliteriert, durch seinen „Prügelbrauch“ – im wahrsten Sinne des Wortes – in die Schlagzeilen geraten. Junge Männer stecken beim Klaasohm in seltsamen Kostümen aus Vogelfedern und ziehen lärmend durch die zwei bis drei dafür zur Verfügung stehenden Straßen Borkums. Währenddessen verhauen sie ihre Frauen mit Hilfe eines Kuhhorns und springen zu guter Letzt von der höchsten Erhebung der Insel, einer Litfaßsäule. Mehr Kiffen statt Saufen wäre hier wahrscheinlich hilfreich gewesen.
Am 1. April, kein Scherz, trat dann auch das Cannabisgesetz in Kraft. Wenn es nun irgendwo streng riecht, hat man sich doch nicht versehentlich in den Halleschen Zoo verirrt, ins Huftier-Revier eines aggressiven alten Steinbocks, sondern ist einem sehr entspannten Zeitgenossen begegnet. Apropos alter aggressiver Bock, Trump wurde wiedergewählt. Merz zum Kanzlerkandidaten gekürt. Doch das Böse ist zum Glück nicht überall auf dem Vormarsch. Assad wurde gestürzt und deutscher Meister wurde in diesem Jahr mal nicht FC Bayern München. Franz Beckenbauer hat das nicht mehr erleben müssen, er verstarb rechtzeitig bereits im Januar.
Vor ungefähr 2000 Jahren wurde Jesus Christus einmal ans Kreuz genagelt. Taylor Swift trat in diesem Jahr allerdings dreimal hintereinander in Gelsenkirchen auf. In einer Art Neuauflage von „Die Schöne und das hässlichste Gemeinwesen Deutschlands“ hat sie in einem Akt der selbstaufopfernden Barmherzigkeit Gelsenkirchen optisch wenigstens kurzzeitig zu erlösen versucht. Bei der Fußball-EM konnten sich entsetzte Engländer die Stadt trotzdem nicht schön saufen. Hat man die Engländer in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen spielen lassen aus Rache für Bomber Harris?
Das spannendste Buch des Jahres ist zweifelsohne die Autobiographie von Angela Merkel. Ich warte allerdings immer noch auf das Enthüllungsbuch von Joachim Sauer: In Bed with Merkel.  

In Bad-Dürrenberg fand 2024 die Landesgartenschau statt. Wer da nicht dabei gewesen ist, wird noch seinen Enkeln sagen können, daß er nun wirklich mal überhaupt nichts verpasst hat. Persönliches Highlight von meinem Lesebühnenkollegen Peter Berg: Nach drei Monaten Verbannungsstipendium in der Altmark, dem Sibirien von Deutschland, durfte er endlich wieder nach Halle. Mein persönliches Highlight: Ein Auftritt bei der Landesgartenschau in Bad-Dürrenberg.
Sachsen-Anhalt hat es wieder getan. Schon mit dem nur durch senile Bettflucht erklärbaren Slogan „Wir stehen früher auf“ versuchte man sich einst gegenüber den anderen Bundesländern wichtig zu machen. Jetzt wirbt das Landesmarketing um Arbeitskräfte mit dem flotten Spruch „Sachsen-Anhalt, kanns halt“. Dabei weiß doch jeder: „Sachsen-Anhalt, ganz alt“. Denn so sieht man hier nämlich aus, siehe Intel auf nimmer Wiedersehen und das in die Zukunft verzögerte Zunftszentrum von Halle.
Bei meinem Rewe um die Ecke wurden Selbstbedienungskassen eingeführt. Selten hat mich etwas so begeistert in diesem Jahr, wie mit dem Strichcode über die Kasse zu schwenken und dann dieses vollkommen befriedigende Piep für den korrekt erfassten Preis des Produktes zu vernehmen. Mit dieser Leidenschaft weiß ich mich nicht allein. Die Nichte meiner katholischen Freundin schaute, als sie vier oder fünf war, voller Begeisterung auf den Vorgang an der Kasse und wußte in dem Moment ganz genau, was sie von Beruf später unbedingt einmal werden wolle, nämlich ein „Abpieper“. Dummerweise nehme ich nun durch das Selberabpiepen jemanden die Arbeit weg, der den ganzen Tag diesen Spaß hätte haben können. Dafür muß jemand eingestellt werden, der aufpaßt, ob ich nicht eventuell zu wenig piepe. Selber schuld, wenn ich als Kunde für meine Arbeit nicht bezahlt werde. Tipp: Nur aus Versehen und vor allem ganz unabsichtlich mal nicht richtig abpiepen.
Internationales Weichtier des Jahres 2024 ist „Der lebende Leuchtstab (Phuphania crossei)“. Mehr als die Hälfte aller Stimmen konnte er gewinnen und zog damit an zwei weiteren Schnecken-Arten, einer Muschel und einem kleinen Tintenfisch vorbei. Nachdem ich dieses Jahr wieder öfter bei Poetry Slams aufgetreten bin, weiß ich sehr gut, wie dem kleinen Tintenfisch zumute ist.
Am 31. Dezember 2024 wird das Betriebsverbot für alle Kaminöfen ohne Feinstaubfilter in Deutschland entsprechend der Ersten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wirksam. Wer daran nicht gedacht hat, sollte sich jetzt echt beeilen.