Lesebühne Kreis mit Berg

Waffenlieferung

Es könnten Worte gefallen sein wie Eskalationsdominanz, rote Linien, Verhandeln sei besser als Schießen. Sie kommen zu hunderten und dann zu tausenden. Besser, still zu halten und sich in sein Schicksal zu fügen.
Ich ließ nicht locker. Die Amerikaner haben die nötige Waffentechnik, damit können wir sie wirksam zurückschlagen, sagte ich. Schau hier, und dann zeigte ich meiner katholischen Freundin ein Video, in dem zu sehen war, wie man mit dem Bug-a-salt Fliegenschießgewehr einfach alle Insekten problemlos in der Wohnung abballert. Fortschrittliche STUBENFLIEGEN-TÖTUNGSTECHNOLOGIE, hieß es: „Der BUG-A-SALT 3.0 ist speziell auf die Bedürfnisse des ernsthafteren Fliegenjägers zugeschnitten.“
Beim Gott des Gemetzels, ich war ein ernsthafter Fliegenjäger! Doch leider zumeist ein sehr erfolgloser. Vor einigen Jahren habe ich mir sogar mal eine elektrische Fliegenklatsche gekauft. Sieht aus wie ein Kindertennisschläger, bei dem allerdings das Gitternetz durch Batterien unter Spannung gesetzt wird. Prinzip Elektrozaun. Hilft sehr gut, zum Beispiel gegen den Schäferhund des Nachbarn oder Gäste, die nicht gehen wollen. Gegen Fliegen leider gar nicht. Man ist zu langsam. Ihre Facettenaugen sehen dich immer um eine Millisekunde früher als du sie mit der Elektroklatsche brutzeln kannst. Schwupp, davon. Sinnlos.
Dagegen mit dem Bug-A-Salt 3.0 (wen es interessiert, dabei handelt es sich um eine Vorderschaft-Repetierflinte, die aus Hartplastik gefertigt ist und mit herkömmlichem Speisesalz befüllt wird, das nach betätigen des Abzugs per Luftdruck aus dem Lauf geschossen kommt. Es gibt auch das Bug-A-Salt 2.5, aber warum mit dem Leopard 1 einsteigen, wenn man den Leopard 2 der Fliegenbekämpfung kriegen kann) also - während der Feind noch gemütlich und schadenfroh seine Vorderbeinchen aneinanderreibt und in vermeintlich sicherer Distanz mit dem Rüssel schön gemütlich den Rand des Bierglases ablutscht, brezelt man mit tödlichster Präzision (nur tödlich reicht nicht) ihm aus zwei Metern Entfernung eins über. So die Theorie in den Produkt-Videos, die ich mir mordlustig anschaue. Keine Ahnung wie der Algorithmus es mal wieder geschafft hat, mir ein Konsumangebot in die Timeline von Old-Facebook zu schmuggeln, das so genau wie dieses meinen Bedürfnissen entgegenkommt. Liegt es eventuell daran, daß ich versehentlich immer mal diese kurzen Videoschnipsel anklicke mit den schönsten Schlachtszenen aus Netflix-Kriegsfilmen? 

Bevor der Kapitalismus und ich ein perfektes Match haben konnten, gab es nun doch noch ein Problem. Solche Waffen muß man in den Vereinigten Staaten erwerben, dem Land der unbegrenzten Tödlichkeiten. Dafür braucht man eine Mastercard. Es gibt Menschen, die verdienen regelmäßig Geld. Sie haben eine Mastercard. Und dann gibt es wiederum Menschen, die sind Lesebühnenautoren in Sachsen-Anhalt. Zum Glück kenne ich jemanden persönlich, der über eine Mastercard verfügt. Ich weiß aber auch, daß diese Person unter Umständen nicht mit einem Mann in einer Wohnung zusammenleben möchte, der mit einem Fliegengewehr durch die Bude springt. Ursprünglich hat sie sich ja auch in jemanden verliebt, der seine Magisterarbeit über Adorno geschrieben hat und nicht in Christian Rambo, der Mann mit dem Fliegentöter. Da war noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber hat Adorno nicht mal sowas gesagt wie: Geliebt wirst du einzig, wo du doof dich zeigen darfst, ohne für komplett bescheuert gehalten zu werden?
„Also wenn du mich liebst …“, hub ich an.
Augenverdrehen meines Gegenübers.
In dem Moment fühlte ich mich schon ein klein wenig wieder so wie damals, als Mutti mir kein Plastegewehr kaufen wollte.
Ich zog meinen Trumpf und flehte: „Wenn du mir das bestellst, wische ich morgen die Küche.“
„Das mußt du sowieso. Okay, bevor du es wieder nicht machst. Dir ist trotzdem klar, wie peinlich mir das ist, sowas zu bestellen? Das steht ja dann sogar auf meinem Kontoauszug.“
„Wer liest denn deinen Kontoauszug? Niemand wird je davon erfahren, meine liebste katholische Waffenbeschafferin.“
Nach einer Woche klingelte der DHL-Mann. Er hielt ein großes Packet in der Hand. Wenn man jetzt barfuß durch unsere Wohnung läuft, kleben lauter Salzkristalle an den Sohlen. Hin und wieder auch ein Flügelchen, ein Mottenbeinchen oder ein gefallener Mückenleib.
Und meine Freundin? Wie betrachtet sie diese Sache? Eines Abends hat sich ein dicker Brummer auf sie gesetzt. Sie scheuchte ihn weg. Sie wollte in Ruhe lesen. Sie hat mit ihm verhandelt. Er kam erneut und ließ nicht von ihr ab. Sie kam zu mir und bat mich, die Sache diskret, aber schnell zu erledigen.
Ich habe ihrer Bitte über Kimme und Korn entsprochen.