Daß jedes Jahr die Händelfestspiele stattfinden, merke ich erst, wenn ich auf unserem Balkon sitze und mich der Lärm von Explosionen hochschrecken läßt. Will Putin sich die DDR zurückholen oder begeht bloß ein Kevin mit aufgesparten Silvesterböllern seinen vierzigsten? Bis mir wieder einfällt, daß es sich auch um die Abschlußveranstaltung der Händelfestspiele handeln könnte, die gerade in der Galgenbergschlucht mit Blitz und Pulverdonner ihrem Ende entgegendetoniert. Daß der Galgenberg ein ausgewiesenes Landschaftsschutzgebiet ist und kleine Biotope für Lurch und Vogel bietet - was solls! Händel hat Feuerwerksmusik komponiert und nicht Lasershowmusik, und einmal im Jahr wird der Nachtigall gezeigt, wo der Händelknaller traditionell durchs Nest kracht.
Das Ehrliche an Händel ist ja, daß man nur zwei Pünktchen bei einem Buchstaben seines Nachnamens weglassen muß, um die Bedeutung dieses Komponisten in seiner Geburtsstadt zu verdeutlichen. Besonders Hoteliers, Restaurantbetreiberinnen und die Reste des innerstädtischen Einzelhändels … äh -handels sind begeisterte Händelfans, selbst wenn sie nie eine Oper von diesem Händel gehört haben sollten. Solche Fans hat auch Beethoven in Bonn und Mozart in Salzburg. Die Komponisten werden zum Konfekt oder müssen ein Herz in den Händen halten, auf dem „Verliebt in Halle“ steht. Dabei wäre es doch viel angemessener, würde man auf Händeltellern, Tassen und T-Shirts lesen „Auseinandergelebt - in Halle“ oder konkreter „Kein Parkplatz gefunden - in Halle“. Das würden die Leute mit Begeisterung kaufen, um so ihren Frust auf diese Stadt in einer für die Stadt finanziell einträglichen Weise abzureagieren. Doch ganz gleich, wie man es angeht, als Sohn oder Tochter der ehrwürdigen Stadt Halle würde ich es mir jedenfalls sehr gut überlegen, ob ich wirklich berühmt werden will. Sonst endet man hier wie Händel und bekommt zur Strafe überlebenslänglich Stadtmarketing aufgebrummt. Und weil das so ist und immer so sein wird, hat sich das hallesche Stadtmarketing auch in diesem Jahr wieder etwas ganz Besonderes einfallen lassen zu den Händelfestspielen, einen Stadtführer „Händel kulinarisch“: Darin heißt es, ich zitiere: „Beflügelt vom Festspielmotto „Oh là là! Händel? – Französische Inspiration“ dürfen Sie wie Gott in Frankreich essen – und das quer durch die ganze Stadt. In dieser Karte haben wir Getränke und Speisen hallescher Cafés und Restaurants für Sie ausgewählt, die sicher auch für Händel eine Gaumenfreude gewesen wären.“
Will man das Abbild auf dem Sockel seines Denkmals für realitätsnah halten, muß Händel recht füllig gewesen sein. Seine Biographen gehen davon aus, daß er in Italien zu einem kulinarischen Genußmenschen herangereift sei, was wiederum die Frage nach sich zieht, warum er dann ausgerechnet nach England gegangen ist, in eine Gegend, in der bis heute ganz schreckliche Verbrechen geschehen, die man Englische Küche nennt. Die hallesche Küche ist da allerdings nicht viel besser und hat mit der sogenannten „Biersuppe“ eine für diese Gegend und ihren Menschenschlag geradezu exemplarische Spezialität hervorgebracht.
Nun muß der Hallebesucher kaum noch fürchten, eine Biersuppe aufgetischt zu bekommen, die hat sich irgendwann still und schleimig aus den Töpfen verabschiedet. Vielmehr sind es jetzt die sprachlichen Spezialitäten, mit denen man es in Halle zu tun bekommt. Im Lichthaus Café unweit der Moritzkirche darf man sich laut „Händel kulinarisch“ an einem alkoholfreien Mixgetränk berauschen, das die klangvolle Bezeichnung trägt „Lav’Händel Limo“, „mit reinem ätherischen Lavendelöl, Honig und einem Schuss Zitrone und Limette,“ für schlappe 5,50 €. An dieser Stelle hatte mich das hallesche Stadtmarketing. Lav’Händel Limo, ein Getränk, das jeden noch so kreativen Friseurladennamenerfinder vor Neid erblassen läßt. War das nur ein Ausrutscher gewesen, ein vereinzelter Glücksgriff in die Wunderkiste des Kalauers oder waren noch weitere Wortschätze zu erhoffen? Ich blätterte im „Händel kulinarisch“ und erblickt Vielerlei, was jedoch leider nicht ganz an die fantastische Lav’Händel Limo herankam. So kann man sich zwar erfrischen mit „Händels Harmonie“ (Sekt mit Holunderblütensirup und Sommerfrüchten) oder mit „Händels Feuer und Wasser“ (Hayman‘s Sloe Gin, Fever-Tree Elderflower Tonic Water, Grapefruitsäft and Himböeren), und sich dann bei aufkommendem Hungergefühl an einem „Feuerwerks-Knödel“ gütlich tun. Oder vorab eine „Trisonate“ löffeln, eine, ich zitiere, „Spargelsüppchen-Ouvertüre mit Kräuternoten, dazu eine Räucherlachs-Stimmgabel und Ziegenkäse-Trüffel-Gnocchis in verspielter Salbei-Amaretto-Butter.“ Die verspielte Vorsuppe verstimmt dann jedoch mit ihrem satten Preis von 14,00 Euro.
Bei den Hauptspeisen türmten sich noch üppige Gerichte wie „Barocksche Fleischbrocken“. Der Begleittext wies das aus, als, ich zitiere „grobe Rindfleischstücke in Rotwein“. Da ahnt man, was Händel in England zu sich genommen haben dürfte. Außerdem „Händels Grillteller“, Schnitzel „Hallelujah“ oder „Georgs liebstes Schnitzel“. Hinter dieser kühnen Behauptung eines Texters im Dienste des Marketing verbirgt sich „Kalbsschnitzel an glasierten Vanille-Möhren und crunchy Kartoffelsalat mit Senf-Kaviar, dazu Demi Glace vom Kalb“, für 35,90 €. Vorher sollte man allerdings noch schnell in der Saalesparkasse um einen Kredit ersuchen. Schlußendlich - was ich als Kalauerconnoisseur kaum noch zu hoffen gewagt hatte - entdeckte ich das „Oh là là Händel – Hendl“ (halbes Grillhähnchen mit Rosmarin-Schwenkkartoffeln und gegrilltem weißen Spargel, dazu Sauce Hollandaise). Und das zu einem unschlagbar gustiös günstigen Preis von 13,50 Euro. Da war für mich klar, auch wenn ich es bedauerlicherweise dieses Jahr wieder nicht schaffe, eine Händeloper zu besuchen, so werde ich mir stattdessen eine Lav’Händel Limo genehmigen und dann ein Oh là là Händel – Hendl verspeisen und die Kreativität des Stadtmarketings preisen, dem wir das zu verdanken haben.