Neulich war das Enkelkindchen bei uns zu Besuch. Das letzte Mal, als es in unserer Wohnung war, lag es seinem Alter entsprechend noch einigermaßen fortbewegungsunfähig auf einer Spieldecke und glich so unserer hin und wieder rücklings auf den Panzer umgekippten Schildkröte, die dann auch einfach daliegt und bloß mit den Beinchen zu zappeln imstande ist. Damit es einem kleinen menschlichen Wesen in dieser Position jedoch nicht langweilig wird, bietet die Babyindustrie Gestelle an, unter die man es legt, damit es nach von oben herab bammelnden Dingen greift. Früher wäre solch ein motorisch noch nicht ganz auf der Höhe seiner Möglichkeiten angekommener Artgenosse für mich höchstens der wohlmeinenden Ermutigung wert: „Du bist ja ganz putzig, aber wir sehen uns wieder, sobald du Adorno lesen kannst.“ Als Opa hingegen verwandelt man sich in ein Stück Butter, das dann gnadenlos neben einen Hochofen gelegt wird.
Das Enkelkindchen kullert nun bereits extrem geschwind herum, zuppelt an den Knöpfen von tieferliegenden Schubfächern, streckt seine Händchen nach stromführenden Kabeln. Man schüttelt mit dem Kopf, sagt: nein, nein. Das Kind grinst und zieht am Stromkabel der Musikanlage. Man hechtet hin, um das Kind vor allzu frühen Stromstößen des Lebens zu bewahren. Man killert es und äußert dabei Sachen wie bu bu da da na na. Also, um genau zu sein, tue ich das.
Aufgrund unserer Patchworkfamilienkonstellation bin ich bekanntlich ohne die Anstrengung und Mühen des Vaterseins nun in diesen Glücksumstand des Großvaterdaseins hineingeraten. Mein Vater hatte das bereits prophezeit, als ich ein Kind war: „Sohn, du gehst immer den bequemsten Weg. Das wird dir nochmal auf die Füße fallen.“ Was soll ich sagen, meinen Füßen geht es immer noch ausgezeichnet. Immerhin, bevor das Enkelkindchen bei uns rumkullern durfte, saugte ich Staub. Ich hätte es aus Bequemlichkeit auch in ein Ganzkörperstaubtuch stecken und es auf unseren Fußboden setzen können, damit es sich als frühkindliche Reinigungskraft nützlich macht. Kinder in diesem Alter sind schließlich noch für Schmutz zu begeistern. Es wären die perfekten Müllfrauen und Toilettenmänner, würde man nicht ständig pfui zu ihnen sagen, wenn sie sich einem interessanten Kackehaufen nähern. Und dann wundert man sich, daß sie eines Tages immer nur studieren wollen.
Kackehaufen liegen bei uns zum Glück noch nicht rum, aber der Zustand unseres Fußbodens ist kurz davor. Überall in den Ecken irgendwas Runtergefallenes wie Nußschalen, verstaubte Drops, Weinkorken, Fernbedienungsbatterien, steinharte Nugatkugeln von Weihnachten Anno 1999. Ein Werbespruch lautete mal, backen ist Liebe. Aber Liebe ist auf jeden Fall auch staubsaugen. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben so dermaßen gesaugt. Sogar einer unserer Weberknechte sprach mit ernster Stimme zu mir, wie ich ihm das in seinem hohen Alter noch antun könne, hätte ich denn kein Herz? Doch, doch, gab ich zur Antwort, wenn er sich sputen möge, könne er nach nebenan in mein Arbeitszimmer umziehen, aber hier im Wohnz … flupp, eingesogen. Ich weiß, das war nicht fair. Aber ich hatte keine Zeit für längere Diskussionen mit Weberknechten. Die Bude mußte sauber werden. Wer will schon ein Enkelkind haben, daß sich am Dreck verschluckt. Sadistische Großeltern aus Mordor vielleicht, die, anstatt in den Tierpark zu gehen, gern mal mit dem Enkelkind einen Ausflug in die Notaufnahme machen.
Als mich meine katholische Freundin so mit dem Staubsauger rumwirbeln sah, war ihr anzusehen, wie gut sie es gefunden hätte, wenn ich schon zu Beginn unserer Beziehung, vor dreiundzwanzig Jahren Großvater geworden wäre. Komm, Großvater, höre ich sie sagen, in der Küche und im Bad gibt es auch noch Ecken, die für das Enkelkind bestimmt seeeehr gefährlich sind. Und ich springe herbei und sauge. Was ist nur aus mir geworden? Ich stehe sogar um 6 Uhr auf, sobald das Enkelkind nebenan fröhlich mit einem Bauklötzchen auf die Dielen unseres Wohnzimmers schlägt. Dann bin ich zur Stelle. Wenn das meine Eltern wüßten. Die bei einem Besuch ihres Herrn Sohnes nicht damit rechnen dürfen, daß ich bei ihnen am Frühstückstisch sitze vor um 10 Uhr. Inzwischen denke ich sogar darüber nach, mein eigenes Zimmer, das mit Büchern, Zeugs und Kram komplett vollgestellt ist, mal gründlichst zu saugen. Wenn das so weitergeht, werde ich vielleicht doch noch erwachsen und bin für meine Umgebung keine Belastung mehr. Ganz so schlimm wird es hoffentlich nicht kommen. Das Enkelkindchen muß ja mit seinen Eltern bald wieder abreisen. Und dann bin ich bestimmt wieder fast der Alte, also wenn meine Freundin mir nicht ständig neue Bilder unseres Enkelkindchens per Whatsapp schicken würde. Warum tut sie das? Ich weiß doch, wie es aussieht. Nämlich unglaublich niedlich.
Ich könnte eigentlich nochmal staubsaugen.