Neulich bin ich Opa geworden. Nanu, werden sich einige denken, müßte man dafür nicht vorher so etwas wie Vater gewesen sein? Was zunächst klingt wie das Wunder der Jungfrauengeburt, ist mit den Verhältnissen unserer Patchworkfamilie schnell erklärt. Die Tochter meiner katholischen Freundin ist Mutter geworden und dementsprechend rutsche ich nun in diese Rolle hinein. Statt Vater einfach schon Großvater, oder wie es Walter Ulbricht ausdrückte: Überholen ohne einzuholen.
Bis jetzt hatte ich allerdings auf Kleinkinder einen primär nüchternen und nicht von Hormonen verfälschten Blick, der die soziale Situation realistisch einschätzt. Kleinkinder sind anstrengend, laut und können - besonders am Anfang - überhaupt nicht richtig reden. Und sie sind von Natur aus extrem manipulativ. Ich merke das an meiner katholischen Freundin. Sobald sie ein Kind nur ansieht, fängt sie an zu lächeln und ist wie bezaubert. Wenn sie mich sieht, passiert das eher selten, auch wenn ich versuche, ganz niedlich zu gucken. Gegen Kleinkinder habe ich keine Chance.
Auch meine Mutter fing irgendwann an, sich Enkelkinder zu wünschen, und das ausgerechnet von mir. Bin ich ihr als Kind nicht mehr gut genug? Liegt es an meinem Bart (könnte ich abrasieren)? An meiner tiefen Stimme (so tief ist sie eigentlich gar nicht)? Mein ganzes Leben lang habe ich mich ernsthaft darum bemüht, nicht erwachsen zu werden, und wie wird es mir gedankt? Ich soll Enkelkinder produzieren. Aber das muß ich jetzt gar nicht mehr, weil ich – im Gegensatz zu meiner Mutter – selber ein Enkelkind habe. Das Fortpflanzungsproblem elegant gelöst, wie ich finde. War eh nie so mein Ding. Wie eitel muß man sein, zu glauben, die eigenen Gene wären es wert. Schauen die Menschen denn nicht in den Spiegel? Unter Männern gibt es regelrechte Fortpflanzungsfanatiker, die sogar jene Frau verlassen, mit der sie schon Kinder haben, um dann mit einer jüngeren Frau nochmal Kinder zu zeugen. Warum dieser Umstand? Da werde ich lieber Großvater. Wenn wir unser Enkelkind besuchen, bringt mir mein Schwiegersohn erstmal ein kühles Bier. Obwohl ich Pi mal Daumen gerade mal zehn Jahre älter bin als er, heißt das noch lange nicht, daß ich ihm keine brauchbaren Ratschläge fürs Leben erteilen könnte. Schließlich habe ich zu vielem eine sehr überholte Meinung und vertrete sie notorisch auch gegen vernünftige Gegenargumente. Alles von der Großvaterrolle gedeckt!
Natürlich mußte ich im Gegenzug von meiner etwas kritischen Sicht auf diese sehr kleinen und noch recht unperfekten Menschen abrücken. Meine Freundin und Mitgroßelternperson versuchte mir das Großelterndasein im Vorfeld bereits schmackhaft zu machen mit der Aussicht auf verlockende Freizeitbeschäftigungen, die ohne Kleinkind im Schlepptau eher seltsam wirken. Zum Beispiel Kindereisenbahnfahren auf der Peißnitzinsel. Wollte ich immer schonmal, doch wenn man dort ohne Kinderbegleitung einsteigt, wird einem das ruck zug falsch ausgelegt.
Jetzt, da das kleine Wesen seit einigen Monaten auf der Welt ist, kann man sich der emotionalen Propagandamaschinerie, die von ihm in Gang gesetzt wird, ja kaum noch entziehen. Dagegen sind Putin und seine Trolle ein Witz. Jeden Tag kommt meine Freundin als strahlende Oma mit einem neuen Foto auf dem Handy zu mir, das den derzeitigen Entwicklungsstand dieses Kleinsäugers auf eine äußerst putzige Weise darstellt. Und ich tappe nun voll in die recht plump aufgestellte Oxytocinfalle hinein. Das Bindungshormon Oxytocin entpuppt sich dabei als regelrechtes Oxytoxin, das dir die Sinne umnebelt wie ein hochdosiertes Opiat. Nach dem Babyangucken bin ich so dermaßen Opi, daß ich auf jeden Enkeltrick reinfallen würde: „10000 Euro überweisen, sofort, ach, wie erwachsen du schon klingst, neulich hast du noch gebrabelt, tja, wie die Zeit vergeht“, hörte man mich senil ins Festnetztelefon sprechen. Bist du Opi, bist du Opfer.
Damit wir überhaupt nicht mehr nüchtern werden, bekamen wir zum Advent etwas ganz Perfides geschenkt. Im Netz kann man inzwischen alles kriegen: Drogen, Waffen und selbst einen Adventskalender, der so heimtückisch hergerichtet wurde, das hinter jedem Türchen ein Bild deines Enkelkindchens lauert. Mal im Kinderwagen am Kissen knabbernd, mal am Holzreif sabbernd. Eines süßer als das andere. Das stellte sogar meinen tollen Bierkalender in den Schatten, den ich mir dieses Jahr gegönnt habe. Und daran merkt man, daß ich inzwischen richtig süchtig geworden bin.