Neulich war ich mal wieder beim Friseur. Normalerweise brauche ich zum Haareschneiden keinen Friseur, weil ich das mithilfe meiner Bartschneidemaschine selber tue. Und wie man sieht, sieht man es auch. Es gibt jedoch nur eine Person in meinem Leben, der es gefallen muß, und von vorne betrachtet bin ich für meine katholische Freundin mit meinem selbstgemachten Kurzschnitt ansatzweise fast noch der Mann, den sie einmal vor 22 Jahren kennengelernt hat. Erst am Hinterkopf kündigt sich eine Dramatik an wie in den ausgedehnten Fichtenwäldern im Harz. Trockenheit und Borkenkäfer sind auf dem Vormarsch. Obwohl sich das eigentlich schon recht lange angekündigt hat. Bereits vor achtzehn Jahren sagte die Tochter meiner Freundin in einem gemeinsam verbrachten Urlaub etwas, was man einem unbedachten Kinde ja im Grunde getrost und mit der Gelassenheit eines Erwachsenen nachsehen sollte: „Du Christian, da hinten kriegst’e ‘ne Glatze“. Ihre Cousine war auch noch dabei, beide lachten und sie konnten froh sein, daß ich sie nicht über das Knie gelegt habe, weil meine Freundin mich dann übers Knie gelegt hätte. Sie hatten ja recht. Es war der Beginn eines langsam hingezogenen Verkahlens im Zentrum meines Hauptes. Wenn ich nun meine Haare drei Monate lang wachsen lasse, kann ich mit meiner natürlichen Tonsur, die dabei entsteht, problemlos in einer Neuverfilmung von „Der Name der Rose“ als irrer Mönch mitspielen.
Daß ich nun trotzdem zum Friseur gegangen bin, daran ist Barbara Thériault schuld, die ehemalige Stadtschreiberin von Halle. Sie arbeitet in halleschen Friseurläden für die Recherche zu ihrem neuen Buch „Die Abenteuer einer linkshändigen Friseurin“, und dafür lud sie mich zu einem Schnitt ein. Barbara kommt aus Kanada. Ob es dort auch solche Friseurläden gibt wie Tilo's Hair Berge, Kamm in!, Pony & Clyde, Vorhair Nachhair, Hairport, Frisierstube Komm Hair, um nur die schönsten zu nennen. Würde mich nicht wundern, wenn Barbara in den Salons, in denen sie bisher gearbeitet hat, schonmal begrüßt worden wäre mit Hallo Haarbara. Auch sprachlich können Friseure sehr krehaartiv sein.
Zu Beginn des Lebens bekommt man ja noch von seinen Eltern die Haare geschnitten, was schon damals dazu führte, daß manche mit dem falschen Geschlecht angeredet wurden. „Wie heißt denn das süße, kleine Mädchen?“ „Christian“, antwortete es. Später war der Friseurbesuch auch nicht immer schön, wenn man sich die alten Klassenfotos so anschaut. Waren die Kinder früher eigentlich alle häßlich oder hat der Friseur sein Handwerk noch in der russischen Kriegsgefangenschaft gelernt? In den Achtzigern wiederum haben junge Menschen sich freiwillig Frisuren machen lassen, deren Urheber sich heutzutage in Den Haarg verantworten müßten. Und generell mag ich es nicht, mit einem Ganzkörperlätzchen dazusitzen. Hinzukommt die ungewohnte Körperkontaktnähe zu einem Menschen, den man nicht kennt. Zum Glück ist es in meinem Falle Barbara, die an meinen Haaren herumfummelt, und nicht einer dieser muskelösen Barbiere, die selber einen Haarschnitt haben, bei dem man sich fragt, warum? Mit einem Haarschnitt wollen manche eben ein Zeichen setzen. Das mag der Grund sein, warum zum Beispiel Frauen oft mit einem neuen Haarschnitt beginnen, wenn sie ihr Leben ändern wollen; und dann wird es wieder nur ein Zeichen für eine passable Geschmacksverirrung.
Als ich im zweiten Studienjahr auf die Idee kam, mir die Haare färben zu lassen, wollte ich nicht wirklich mein Leben ändern, höchstens ein bißchen mein Sexualleben. Ich ging davon aus, daß meine bishairigen Mißerfolge beim weiblichen Geschlecht an meiner Haarfarbe lägen. Mein Rotblond sei das Gegenteil von Latin Lover, dachte ich. Wären sie erst mal südlich dunkel gefärbt, würden meine stundenlangen, total interessanten Bemerkungen über Adorno und Luhmann schon ihre Wirkung auf das weibliche Geschlecht nicht verfehlen. Also ging ich zu einem Friseur, setzte mich auf einen freien Stuhl und versuchte, meinen Wunsch in Worte zu fassen. Eine Brauntönung, schlug er vor. Das Problem, ich besaß schon damals einen Vollbart. Dunkle Haare und dann ein Barbarossabart darunter, hätte sicher seltsam gewirkt. Oben dolce vita, unten deutsches Schiethaar. Aber den Bart abzurasieren wäre, eingedenk dessen, was darunter zum Vorschein kommen würde, auch keine Haarternative. Auf diese Weise hatte der Frisör mal die Gelegenheit, einen Bart zu färben. Das dürfte 1998 in Ha(ar)lle auch noch nicht so oft vorgekommen sein. Mal keinen dunklen Damenbart aufhellen, sondern einen hellen Männerbart verdunkeln. Zuerst wurden die Kopfhaare komplett mit einer braunen Paste eingeschmiert, ebenso meine buschigen, an den jungen Theo Waigel gemahnenden Augenbrauen. Schließlich kam der Bart an die Reihe, mit Silberpapier drumherum, als ob ich einen Döner im Gesicht kleben hätte. Anderthalb Stunden später tauchte im Spiegel vor mir kein rotblonder Mann auf, aber auch kein braunhaariger. Mein Rotblond und das Färbebraun sind eine Mischung eingegangen, die man eher als rotbraun bezeichnen könnte, mit einer deutlichen Tendenz zu Kupfer. Der Frisör lobte das Ergebnis und meinte, in ein paar Wochen könne ich gern wiederkommen, um die Färbung aufzufrischen. Was wohl bedeutete, wenn ich seine Worte richtig verstanden hatte, daß ich die nächsten Wochen tatsächlich so aussehen würde. Allerdings konnte ich die nächsten Wochen nicht nur in meinem WG-Zimmer bleiben. Ich mußte zur Uni oder wenigstens zum Aldi mit dieser Rostbirne. Mit diesen Haaren könnte ich zwar niemanden sexuell überzeugen, dafür aber als Vertreter von Duracell-Batterien jobben: Der mit dem Kupferkopf. Oder einfach schnell vor die Straßenbahn laufen und die nächsten Wochen im Krankenhaus verbringen, damit ich keiner Kommilitonin begegnete. Die ganze Prozedur kostete mich außerdem einen Betrag, mit dem ich lieber in den halleschen Bahnhofspuff hätte gehen sollen, um meine Jungfräulichkeit zu verlieren. Das wäre zumindest eine richtig haarige Angelegenheit geworden. Aber ich mied zukünftig lieber beide Etablissements. Einzig für Barbaras Recherche zu ihrem neuen Buch hielt ich nochmal meinen Kopf hin und habe jetzt die Haare schön, im Rahmen des Möglichen.