Seitdem ich bei „nebenan.de“ registriert bin, bekomme ich jeden Tag neue Beiträge aus meiner Nachbarschaft zugesandt. Es ist eine Online-Plattform, auf der sich Menschen eines Stadtviertels austauschen, etwas anbieten oder erbitten können. Sie kann auch eine interessante Informationsquelle sein für angehende Stalker. Denn falls man sich jemals gefragt haben sollte, mit welchen Menschen man nur ein paar Straßen weiter zusammenlebt, dann gibt es kaum eine bessere Möglichkeit, um das herauszufinden.
Nicht selten lassen mich allerdings die Anfragen und Angebote dort etwas ratlos zurück, selbst wenn das, was sich die Nachbarschaft wünscht oder anbietet, bereits in der Betreffzeile der Mail recht deutlich formuliert erscheint. Oder was ist darunter zu verstehen, wenn es im Betreff heißt: „Suche Helfer für Möbeltransport“? Glaubt man damit wirklich jemanden zu finden, der freiwillig eine Arbeit macht, für die man normalerweise Geld bezahlen müßte? Ich überlegte schon, zur angegebenen Uhrzeit bei dieser Adresse vorbeizuschauen, um zu beobachten, wer bereit ist, geizigen Menschen bei ihrem Umzug behilflich zu sein. Existieren solche Altruisten tatsächlich? Wenn ja, dann könnte ich sie gleich fragen, ob sie im Anschluß so freundlich wären, unseren Keller zu entrümpeln. Bei der Anzeige „Partnervogel für einsamen Wellensittich“ ist wiederum nicht klar, ob sich dahinter nicht vielmehr eine Kontaktanzeige verbirgt, nach dem Prinzip: Kuschelbär sucht Schmusekatze. Am Ende steht man mit einem Wellsittich vor einer Wohnungstür und wird von einer Person in Latexstrapsen empfangen, die kein Interesse an Vögeln hat. Aber was will mir jemanden sagen, der „Tausche Zeitschriften zur Geschichte gegen kleine Packung Tomaten“ anbietet. Eine an der Historie interessierte Person verspürt plötzlich einen großen Appetit auf Tomaten und ist so bescheiden, daß sie für ihre Zeitschriften nur eine kleine Packung haben will?
Nahrungsmittel werden auf nebenan.de zumeist verschenkt. Zum Beispiel „Whiskey zu verschenken“. Das wäre kein schlechtes Angebot, wenn der Whiskey noch ungeöffnet oder zumindest halbwegs voll gewesen wäre. Doch wie man auf dem Foto sieht, ist nur noch ein kleiner Schluck Whiskey in dieser Flasche drin. Im Grunde müßte der Eintrag lauten „Fast leere Flasche Whiskey zu verschenken“. Aber wer macht sowas? Eine abstinente Witwe, die es nicht übers Herz bringt, die Alkoholreste ihres kürzlich verstorbenen Gatten zu entsorgen? Bei dem Eintrag „Wer hat unsere Katze Adelheid gesehen?“ möchte man tatsächlich mal zum Telefonhörer greifen und unter der leichtsinnigerweise angegebenen Handynummer anrufen, warum sie ihre Katze Adelheid genannt haben? Das Tier kann sich doch nicht dagegen wehren.
Viele Beiträge auf nebenan.de gehören der Rubrik der warnenden Mitteilung an wie „Fahrraddiebe im Paulusviertel unterwegs“ oder „Waschbär gesichtet“. Dabei könnte man im Paulusviertel eine viel größere Aufmerksamkeit erzielen mit der Mitteilung „Grizzly unterwegs“. Es muß ja nicht unbedingt stimmen. Für Veranstaltungswerbung wird diese Plattform auch gern genutzt. Zum Beispiel für die Veranstaltung „Veganes Picknick (mit Tanz-Workshop)“. Was würde passieren, wenn ich dort mit einem Korb Wienerwürstchen und Klopse angetanzt komme. Würde mich jemand zur Rede stellen und darum bitten, wenigstens in ausreichendem Abstand meine Fleischprodukte zu verzehren? Die Anzeige „Suche handwerklich begabten Menschen“ hat mich dann besonders angesprochen. Solch einen Menschen sucht nämlich meine Freundin bereits seit Jahren. Vielleicht sollte sie auf nebenan.de auch nach ihm suchen lassen, damit bei uns im Haushalt wieder ein paar Dinge in Ordnung kommen.
Manche Einträge sind für mich komplett unverständlich wie „suche bulgarische Lewa“. Handelt es sich um bulgarische Keramik, traditionelle Kopfbedeckung oder um eine Spezialität, die bulgarische Lewawurst. Ich habe mich gar nicht erst bemüht, es herauszufinden, um mir noch ein paar Geheimnisse im Leben zu bewahren.
Während die einen etwas suchen, wollen die anderen etwas verschenken, aber viele Dinge, die auf nebenan.de verschenkt werden sollen, heißen zum Beispiel „Anbauwand in braunem Preßholz“, „alte Klamotten und Stoffreste“ oder „reparaturbedürftiges Beistellbett Babybay MaxiCompfort“. Ich ahne die Gründe, warum diese Dinge von meinen Nachbarn so großzügig verschenkt werden. Neulich las ich sogar, „Hühnersuppe zu verschenken“. Da hatte tatsächlich eine Person zu viel Hühnersuppe gekocht und suchte nun jemand, dem sie den Rest überhelfen konnte. Was mich aber noch viel mehr irritierte, war, daß kurze Zeit später der Beitrag mit dem Status „Schon vergeben“ gekennzeichnet wurde (wie übrigens auch beim Whiskey). Es gibt also Nachbarn, die bedenkenlos Suppen von wildfremden Menschen in sich hineinlöffeln. Bevor ich dazu in der Lage wäre, müßte ich eine Anzeige bei nebenan.de schalten mit dem Betreff „Vorkoster gesucht“.
Zuletzt erreichte mich bei nebenan.de ein Veranstaltungshinweis, der mich tatsächlich interessiert hat. Normalerweise gehe ich ja kaum noch irgendwo hin. Möglicherweise habe ich mich ebenso durch die Coronazeit etwas vom Kulturprogramm entwöhnt wie ein großer Teil des Publikums. Aber als ich die Betreffzeile las: „Bald ist es soweit! Lesebühne Kreis mit Berg“, dachte ich, da solltest du doch mal hingehen.