Ich bin jetzt seit über zwanzig Jahren in einer Beziehung und habe immer noch Interesse daran, daß meine katholische Freundin am Leben bleibt. Das muß wohl Liebe sein. Dafür jedoch, daß ich sie so liebe, tut meine Freundin leider nicht sonderlich viel dafür, auch in Zukunft noch so schön von mir geliebt werden zu können. Oder warum sträubt sie sich so dermaßen gegen einen Fahrradhelm?
„Warum, das kann ich dir sagen, ein Fahrradhelm sieht einfach scheiße aus“, entgegnete sie mir bei unserem wöchentlich mindestens einmal stattfindenden Fahrradhelmgespräch.
„Aber wenn du einen deformierten Kopf hast, sieht das auch nicht besonders gut aus. Ein Fahrradhelm kann …“
„Nerv mich nicht mit dem Fahrradhelm.“
„Stell dir vor, ich würde dich nicht nerven, das würde doch bedeuten, du bist mir egal.“
„Ich werde trotzdem keinen Helm tragen, jedenfalls nicht solange du auch keinen trägst.“
„Du kannst doch nicht die Maßstäbe, die ich an dich lege, auch an mich legen. Ich bin viel umsichtiger im Straßenverkehr als du, und habe im Gegensatz zu dir einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn.“
Nicht selten war an dieser Stelle unser Gespräch leider schon beendet.
Dabei kann ein Fahrradhelm auch richtig gut aussehen, wenn man bereit ist, das Konzept von dem, was man als gutaussehend definiert, ein bißchen zu erweitern. Klar, ein Helm verändert das Größenverhältnis zwischen Kopf und Körper. Das läßt sich nicht leugnen. Ein großer Kopf kann jedoch auch als Zeichen für Intelligenz interpretiert werden.
„Oder als Zeichen für einen ausgeprägten Wasserkopf“, durchbrach meine Freundin meine gut aufgebaute Argumentationslinie wie die ukrainischen Truppen die russischen Stellungen bei Charkiw.
Sie hatte ja recht. Fahrradhelmträger sind die Antialkoholiker unter den Verkehrsteilnehmern. Die Nichtraucher der Straße. Oft sind sie auch nur verantwortungsbewußte Eltern, die mit gutem Beispiel voran radeln müssen, weil sie keine Autorität besitzen, ihrem Nachwuchs einfach zu befehlen, einen Helm zu tragen. Deshalb sehen sie nun albern aus. Das grundsätzliche Problem des Fahrradhelms ist und bleibt leider, daß er ursprünglich für Sportler entwickelt wurde, der dann aber von Menschen getragen wird, die offenkundig keine sind. Demensprechend sind diese Helme auch in absurd bunten Farben gehalten, damit Autofahrer bei einem Unfall erleichtert feststellen können, daß sie nur jemanden ohne Geschmack und Selbstachtung überfahren haben. Ein Opfer eben bzw. ein sehr vernünftiger Mensch, was auf dasselbe hinausläuft.
Es gibt allerdings eine Alternative zum Helm. Eine Art Airbag für den Kopf, der als dezenter schwarzer Kragen das Äußere nicht verunziert. Diese 837 Gramm schwere Hightech-Halskrause, deren Sensoren die Bewegungen registriert, öffnet sich bei einem Sturz und kann laut Hersteller in diesem Fall via Bluetooth sogar Freunde und Familienmitglieder verständigen. Genau die richtige Zusatzfunktion, um Freunde und Familienmitglieder auch wunderbar in Panik zu versetzen. Manchmal öffnet sich der Airbag nämlich schon, wenn man bloß mal hektisch vom Fahrrad absteigt und nicht zermanscht unter einem LKW liegt, wie wir feststellen mußten, nachdem meine Freundin diesen Fahrrad-Airbag von mir zum Geburtstag aufgenötigt bekommen hatte. Es machte puff. Der Kopf meiner Freundin war mit einem weißen Luftsack eingehüllt. 350 Euro waren futsch. Hätte sie wenigstens einen Unfall gehabt, wäre die Investition nicht völlig umsonst gewesen. Ich überschlug mal eben, wie viele Airbags ich im Laufe der Zeit meiner Fahrradkamikazin bei ihrer Art vom Rad zu steigen noch schenken müßte, und kam zu dem Schluß: „Okay, dann trage ich auch einen Helm, aber ich mach das wirklich nur aus Liebe!“ Denn wenn man bedenkt, wie oft wir nach Hause geradelt sind, weil einer von uns beiden – und ich verrate jetzt mal nicht, wer – zum Laufen schon zu betrunken war, ist es ein Wunder, daß der Tod uns noch nicht geschieden hat.
So wahr meine Worte waren, so wenig führten sie allerdings dazu, daß wir uns dem Fahrradgeschäft annäherten, um gemeinsam den Übertritt zu einem Helmpärchen zu vollziehen. Zum Glück hatte neulich eine Kollegin meiner Freundin einen Fahrradunfall. Sie machte den klassischen Hallemove und kam in die Straßenbahnschienen, verlor das Gleichgewicht, knallte auf den Boden. Ich hätte mir wirklich gewünscht, daß das nicht nötig gewesen wäre. Doch dieser Sturz, den die Kollegin nur deshalb unbeschadet überlebte, weil sie einen Helm trug, war einfach viel überzeugender als meine mahnenden Worte.
Im Fahrradgeschäft gab es, wer hätte es gedacht, neben den üblichen Hochleistungshelmen, mit denen man wahlweise die Tour de France gewinnen oder kopfüber in eine Alpenschlucht stürzen kann, sogar den einen oder anderen Helm, der beinah unsportlich aussieht. Meine Freundin riet mir zu einem schlichten grauen Stadthelm, der farblich sehr gut zu meinem Tweedsacko passen würde. Und sie entschied sich für ein lindgrünes Model, das die Anmutung eines italienischen Mopedhelms ausstrahlt, den die Römerinnen aufsetzen, um auf einer piniengesäumten Strada der Dolce Vita entgegen zu düsen, was ihr ausgezeichnet steht, sagte ich, als sie mich fragte, ob der zu ihr passe.
Die Liebe macht uns glücklicherweise immer noch ein kleines bißchen blind.