Ich habe einen Freund auf Facebook, der vertritt unter anderem die These, daß die Amerikaner den 11. September selber inszeniert haben. Und jedes Mal, wenn ich sein Profil besuche, weiß er von neuen Enthüllungen zu berichten, die mich nachdenklich stimmen sollen. Insofern wäre ich jetzt natürlich ziemlich enttäuscht darüber, wenn er sich gegen Covid-19 einfach so impfen lassen hätte. Dann wäre sein jahrelanger Einsatz bei der Verbreitung von Verschwörungsmythen ja komplett umsonst gewesen.
Auch meine katholische Freundin hat so eine Art „Facebookfeundin“. In der Zeit vor Corona führte diese noch ein eher stilles und bescheidenes Impfgegnerdasein. Eine Anhängerin des traditionellen Naturheilglaubens, die Impfen als einen widernatürlichen Eingriff in die Aura ihres Körpertempels begreift und deshalb von der Masern- bis zur Tetanusimpfung ihrem naturverbundenen Leib nichts antun würde, was im Verdacht steht, eine wissenschaftlich begründete Wirkung zu haben.
Die Facebookfreundin meiner katholischen Freundin ist übrigens Lehrerin. Ich frage mich allerdings, für was: Bachblütenkunde und höhere Homöopathik? Mit ihrem persönlichen Widerstand gegen die Coronamaßnahmen blühte sie dann erst richtig auf, fuhr zu den Querdenkerdemos nach Berlin, und schaffte es sogar auf ein Foto in der „Zeit“, als Kämpferin an vorderster Front gegen die Merkeldiktatur. Jeden Tag konnten wir auf ihrer Facebook-Timeline mindestens einen Beitrag bestaunen, zum Beispiel von einem Flugzeug, mit dem irgendwelche Mächte - der „tiefe Staat“, Bill Gates oder Onkel Dagobert, so genau weiß man es ja nicht - „Chemtrails“ auf uns sprühen lassen, damit wir unfruchtbar werden. Abgebildet war dann jedoch bloß ein Löschflugzeug. Aber hey, wenn man das immer so nüchtern betrachtet, wird man auch niemals ein Ufo entdecken können. Und dann wäre es der Facebookfreundin meiner Freundin auch niemals möglich gewesen zu behaupten, die vielen Todesopfer der Spanischen Grippe 1918 seien durch die damaligen Grippeimpfungen zustande gekommen, weil es die Grippeimpfung ja erst seit den vierziger Jahren überhaupt gibt. Am tollsten fand ich natürlich die These, daß im Biontech-Impfstoff Wurmeier drin sind, aus denen winzig kleine, süße Würmer schlüpfen, die das Blut verklumpen. Soviel irrwitzige Kreativität im Ausdenken von Quatsch; wer hätte sich als Schüler nicht so eine Lehrerin gewünscht?
„Christian, erklär bitte der Klasse, wie funktioniert Osmose.“
„Ähm, Zwerge pumpen aus der Erde Wasser in Pflanzen.“
„Richtig! Wenn Du mir auch noch sagen könntest, welche Zwerge das sind, gibt es eine eins plus.“
Sollte man je an seinem Geisteszustand zweifeln, guckt man auf solch ein Facebookprofil und weiß, da ist noch Chemtrail gewürzte Luft nach unten. Um dort anzukommen, braucht man normalerweise sehr viele Drogen, Alkohol oder wahlweise einen ungünstig sitzenden Gehirntumor. Es war faszinierend. Doch dann machte meine Freundin einen großen Fehler. Sie fing an, diese Postings aus der wunderbaren Welt des Wahns mit vernünftigen Argumenten zu kommentieren, worauf sie prompt entfreundet wurde.
Immerhin, so dachte ich, haben wir als Informationsquelle noch meinen seltsamen Facebookfreund. Dank ihm würden wir über die neuesten Entwicklungen in der Szene der Impfgegner auf dem Laufenden bleiben. Kürzlich postete er eine Reihe von Zeichnungen, die dort kursieren. Zu sehen waren Blonde Kinder und Mädchen, die von dunklen, fratzenhaften Gestalten mit Teststäbchen und Impfspritzen bedrängt werden. Die Bildsprache besaß überhaupt nicht überraschenderweise große Ähnlichkeit mit antisemitischen Darstellungen, wie sie aus den Geschichtsbüchern bekannt sein dürften. Ich überlegte lange, ob ich das dann doch mal kommentieren sollte. Einerseits wollte ich mir den Eintritt in diese geistige Unterwelt nicht gänzlich verbauen, anderseits meinem Facebookfreund und denen, die ebenfalls mit ihm befreundet sind, nicht vorenthalten, daß ich das schon etwas unangemessen finde. Irgendwann gegen 3 Uhr nachts drückte ich auf Enter und mein Kommentar stand drunter.
Das führte im Laufe des Tages erwartungsgemäß zu vielen Kommentaren unter meinem Kommentar. Manche stimmten mir zu, andere weniger. Beispielweise kommentierte jemand: „Christian Kreis. Wer bezahlt Sie? Oder sind Sie taubblind, so etwas zu schreiben?“ Ich habe nicht darauf geantwortet, weil es mir unangenehm ist, öffentlich zuzugeben, daß ich dafür gar nicht bezahlt werde. Das Leben als Systemschreiberling ist manchmal gar nicht so großartig, wie einige sich das vorstellen. Deshalb fand ich das Angebot einer weiteren Impfgegnerin aus Halle, die vor kurzem nach Schweden ausgewandert ist, weil – nach ihrem Bekunden – ihre Existenz, ihre Psyche, ihr Kind und unsere Zukunft in Deutschland bedroht sei, nicht uninteressant. Sie lud mich aufgrund meines Kommentars dazu ein, - obwohl wir uns gar nicht persönlich kennen-, sie in Schweden zu besuchen. Ich habe noch nie Urlaub in Schweden gemacht. Sie schrieb: „lieber Christian, als Mama, Lehrerin & Mensch finde ich unverzeihlich, was den Kindern in D widerfährt (angetan wird) …ich lade dich und alle, die DAS akzeptabel oder gar gerechtfertigt finden ernsthaft hier nach Vimmerby ein. Mein Sohn (15) lernt und lebt hier Masken-frei, Angst-frei, Quarantäne-frei, ImpfDruck-frei, Lockdown-frei, „G“-frei, Test-frei, Kind-Mensch-Sein erlaubt! Gewollt! Kommt! Schaut es euch an.“ Sie postete sogar noch ein Foto von einem netten, rotgestrichenen Häuschen. Ob es das Häuschen ist, in dem sie wohnt? Ringsum Schnee, Wald, und ein blauer Himmel darüber. Es sieht aus wie in Bullerbü. Bei Wikipedia steht: in Vimmerby gibt es einen Astrid-Lindgren-Erlebnispark. Außerdem die dickste Eiche Europas. Wie soll man da noch widerstehen: Auf nach Bullerbü! Der schwedischen Colonia Dignidad für deutsche Impfgegner. Ich pack schonmal meine Koffer.