Ich habe mich wieder mal für einen Schreibworkshop an einer Schule beworben, weil ich es als eine wichtige Aufgabe erachte, junge Menschen für Bücher und für das Schreiben zu begeistern. Das ist, genau genommen, komplett gelogen, doch wenn man bereits in der Bewerbung zugibt, daß man mit Kindern nicht so viel anfangen kann, könnte der Eindruck entstehen, für den Job gar nicht geeignet zu sein. Ein Kanalarbeiter macht seine Arbeit allerdings auch nicht, weil er sich für Kacke begeistert. Obwohl es sicher welche geben mag, die da eine gewisse Neigung entwickelt haben, sollte doch meist Geld die primäre Motivation sein, sich mit irgendwelchen Kindern zu beschäftigen. Kinder finde ich ja seit meiner Kindheit anstrengend. Sie haben viele schlechte Eigenschaften. Unter anderem sind sie oft unangenehm ehrlich. Durch Bildung und Erziehung nimmt das zwar im Laufe der Jahre ab, trotzdem passiert es immer wieder. Hier ein Beispiel aus der Praxis. In Kursen mit Kindern schwitze ich oft stark, denn es ist extrem kräftezehrend - und manchmal auch angsteinflößend, was dann Schweißränder unter den Achseln ergibt. Plötzlich meldete sich ein Schüler, mit den Fingern in der Luft schnipsend. Ich fragte ihn, was er denn Dringendes wolle, und er: „Herr Kreis, ihr Deo hat versagt“. Ähm, ja danke für den Hinweis, Justin Antony. Ein anderer teilte mir mit, daß der Kurs ihm überhaupt keinen Spaß mache. Immerhin hatten wir nun für unsere weiterer Zusammenarbeit wenigstens etwas gemeinsam.
Das neue Projekt heißt „Kindsein in Sachsen-Anhalt.“ Im ersten Moment vielleicht eine seltsame Bezeichnung für einen Schreibworkshop. Andererseits, wenn man sich vor Augen führt, was es bedeutet, in Sangerhausen oder Dessau aufzuwachsen, dann kann man es auch schon wieder vollkommen nachvollziehen. Wem als Kind ein solches Schicksal beschieden ist, der wird ganz sicher den Drang verspüren, dies auch literarisch zu verarbeiten. Und dabei sollen ihm dann Autoren aus Sachsen-Anhalt zur Seite gestellt werden. Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist. Erfolglose Schriftsteller ohne jegliche didaktische und pädagogische Ausbildung, die berufsbedingt psychische Probleme haben und nicht selten auch ein alkoholisches, sollen an Schulen junge Menschen für das Schreiben begeistern. Vielleicht habe ich nur nicht den tieferen Sinn solcher Maßnahmen begriffen, die immerhin großzügig vom Land finanziert werden. Möglicherweise funktionieren solche Workshops nach dem Prinzip der Drogenprävention. Man schickt einen Betroffenen in die Schule, der glaubwürdig bezeugen kann, was passiert, wenn man nicht rechtzeitig damit aufhört.
Bevor jedoch so ein Kurs beginnen kann, muß man sich mit der zuständigen Lehrkraft über einen Termin einig werden. Die Lehrerin schrieb mir folgende, leicht gekürzte Mail:
„Sehr geehrter Herr Kreis,
wir können gern am Mittwoch mit der Auftaktveranstaltung in der 9b beginnen, in der 1./2. Stunde von 7.35 - 9.05 Uhr im Raum 019.
Bitte teilen Sie mir mit, ob Ihnen der Termin angenehm ist.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch.“
Auf den ersten Blick war die Mail recht klar formuliert. Bloß was meinte sie mit 7:35?
Ich schrieb zurück.
„Sehr geehrte Frau Soundso,
die Uhrzeit von 7.35-9.05 ist außerhalb der Vorstellungskraft. Die jungen Menschen würden ja ein völlig falsches Bild von der Schriftstellerei bekommen. Wenn eine spätere Zeit möglich wäre, wäre ich ihnen sehr verbunden.
Beste Grüße
Christian Kreis“
Tagelang kam keine Antwort. Ich dachte schon, das hätte sich nun erledigt. Ein weiteres pädagogisches Waterloo bliebe mir erspart. Doch hatte ich vom gemeinnützigen Träger des Projekts bereits Geld überwiesen bekommen. Und leider sieht es ein Träger nicht so gern, wenn man Geld für eine Arbeit bekommt, die man nicht macht. Das ist kleinlich, jedoch sehr verbreitet. Ich konnte die Lehrkraft immerhin auf 11:15 Uhr hinaufhandeln. Immer noch früh, aber man muß auch Kompromisse eingehen können im Leben. Andere Arbeitnehmer haben es schließlich auch nicht leicht.
Als ich vor der Klasse stand, fragte ich, wer denn schonmal was Literarisches geschrieben hat. Es meldeten sich 3 von 20. In der Klasse gab es also drei Problemfälle. Zur Einstimmung las ich erstmal ein paar Texte vor, die in die Augen der jungen Menschen Ratlosigkeit zauberte. Danach sollten sie Fragen stellen. Mit ihren 14-15 Lenzen sind die meisten ja zum Glück bereits recht realistisch drauf. Wenn sie eine Frage hatten, dann die, ob ich vom Schreiben leben könne. Ich berichtete wahrheitsgemäß. Eine Schülerin meldet sich daraufhin, guckte mich mit einem Blick an, der mich entfernt an den meiner Mutter erinnerte, und fragte: Wie hält man das bloß aus? Ich antwortete: mit Bier. Dann lachte ich, als hätte ich einen Scherz gemacht. Schließlich saß noch die Deutschlehrerin in der letzten Reihe. Weshalb ich nun etwas von Resilienz redete, von der Kunst, mit der Freiheit umzugehen, von den Chancen eines kreativen Lebens. Schaden anrichten würde es nicht, es war offenkundig, daß mir die Schüler das überhaupt nicht abkauften. Zum Abschied bedankte sich die Lehrerin. Sie war sichtlich froh darüber, daß ich den Schülern zeigen konnte, was passiert, wenn man keinen vernünftigen Beruf ergreift.
Und beim nächsten Termin würde ich die drei notorischen Schreibinteressierten dazu auffordern, mal einen Text in korrekten Hexa- und Pentametern zu verfassen, damit sie merken, daß Schreiben auch überhaupt keinen Spaß machen kann. Damit wäre ja schon viel erreicht.
Übrigens, wer den Wunsch hegt, Autor zu werden. Man kann meinen Antischreibworkshop auch privat buchen.