Lesebühne Kreis mit Berg

Mücken

Am 9. Juni gab es im MDR eine Nachricht mit der Überschrift: „Keine Mückenplage in Sachsen-Anhalt erwartet“. Jetzt, am 13. August, währenddessen ich diese Kolumne schreibe, fällt mir ein, woran mich diese Nachricht erinnert, nämlich an eine Äußerung aus dem Juni 1961, die ungefähr so lautete: „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten.“
Seit Wochen hocken wir Hallenser nun in unseren Mückenbunkern. Weiß man von unserem Schicksal außerhalb Halles überhaupt, da, wo die Menschen glücklicherweise ohne Mücken den Sommer genießen, weil es laut Experten im MDR gar keine Mückenplage gibt. Diejenigen unter uns, die trotzdem einmal raus müssen, um in urbanem Flair einen Aperolspritz zu genießen, gehen durch die Hölle. Überall umgibt uns das zermürbende Fiepen, das den Stich ankündigt.
Kürzlich räumte es selbst der MDR ein, Halle hat eine Mückenplage. Auch Tschernobyl gab man erst zu, als es nicht mehr zu leugnen war. Ich bin inzwischen zu einem Autanisten geworden. Es gibt allerdings noch ein paar Hallenser aus der Chemieverweigererszene, die Autan ablehnen. Die nehmen lieber etwas Biologisches, Lavendelcreme oder Brennnesselwasser. Ich akzeptiere das. Ich bin sogar gern mit solchen Menschen zusammen, die meine Auffassung über Autan nicht teilen. Dann wissen die Mücken gleich, daß es bei ihnen das gesunde Bioblut gibt. Mücken leben ja meist sehr umweltbewußt. Ich dagegen rieche wie nach einer Explosion in Bitterfeld.
In einigen Drogeriemärkten von Halle ist Autan längst ausverkauft. Ich besorge mir das Zeug nun bei einem der gierigsten Blutsauger unter den Versandfirmen. Er liefert schnell. Der wochenlange Autangebrauch hat mich gleichgültig gegenüber Sozialstandards gemacht, denn ich brauche den Stoff – s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s,s, da sind sie wieder.
Unten im Garten kann man sich gar nicht mehr aufhalten. Immerhin vertreiben sie auch unseren Nachbarn. Wo er in diesem Sommer wieder mit freiem Oberkörper, Schäferhund und Grill gestanden hätte, sind jetzt Mücken. Eines Tages werden wir wohl sagen, es war nicht alles schlecht damals, im Mückensommer 2021. Ein Mückenforscher, der sich mit der speziellen Problematik hier in Halle beschäftigt, spricht im MDR-Info davon, daß die Mückenplage hausgemacht sei. Unbedeckte Wassertonnen, Gefäße mit stehendem Wasser seien die idealen Brutstätten. Das mache den Mückenhotspot Halle aus. Ich kann das bestätigen. Mein Lesebühnenkollege Peter erzählte neulich beim Bier - das wir unter Vollschutz sogar draußen tranken - von seinem Nachbarn, der für die Pflanzen im Hinterhof Wasser in unbedeckten Eimern sammelt. Peter hat ihn darauf angesprochen, aber der Nachbar leugnete das Problem. Jetzt schüttet Peter heimlich Spülmittel rein. Ich hätte nicht gedacht, daß Peter zu so etwas in der Lage ist. Der liebe Peti!, dem das Gespür für den menschlichen Anstand und die Sensibilität gegenüber der Kreatur zu eigen ist, wie es mir nie möglich wäre. Sein Nachbar wundert sich bereits, warum die Pflanzen - trotz Gießens - so seltsam aussehen. Meine katholische Freundin hat mir ja leider verboten, Spülmittel in unsere Wassertonne zu tun. Das sei nicht ökologisch, sagt sie. „Du würdest bestimmt noch die andere Wange zum Stich hinhalten“, warf ich ihr an den Kopf. So polarisiert auch die Mücke die Gesellschaft immer mehr. 

Im MDR kann man jetzt übrigens die Meldung vernehmen, im Süden von Halle sei die Mückenplage am schlimmsten. Die Anwohner klagen über Wolken aus Mücken, die großflächig die Häuserwände eingenommen haben. Der Süden von Halle, Brutstäte für Malaria, das Denguefieber und schlechten Fußball im Kurt-Wabbel-Stadion. Das Wabbel übrigens nie ein guter Name für eine Sportstätte gewesen ist, hätte eigentlich klar sein können. Davor hieß es Horst-Wessel-Kampfbahn, auch nicht wirklich gut. Nach dem Umbau heißt es nun Leuna-Chemie-Stadion. Vielleicht hilft der neue Name zumindest mental gegen Mücken. Aber in den Süden geht sowieso niemand freiwillig. Der Süden von Halle ist durch die Hochstraße am Frankeplatz von Halle getrennt wie Nord- von Südkorea. Wer trotzdem das Wagnis eines Grenzübertritts auf sich nimmt - zum Beispiel als der Reißverschluß meiner Lederjacke kaputt ging und ich dort ein Sattlergeschäft aufsuchen mußte - macht das so schnell nicht wieder.
Der hallesche Mieterrat fordert jetzt den Einsatz von biologischen Bekämpfungsmitteln. Man führt Beispiele an, wo ein solcher Einsatz erfolgreich war, wie in den Rheinauen 1980. Über etwaige Umweltschäden sei indes nichts bekannt. Zu der Zeit hätte man dort allerdings auch eine Atombombe abwerfen können und hätte keine wesentlichen Lebewesen getroffen, dank Rheinverschmutzung. Und wenn doch noch eine Mücke kam, zündete man sich eine Zigarette an und pustete den Rauch zum Schutz des Nachwuchses in den Kinderwagen.
Zum Schluß noch meine Top 3 gegen Mücken. Wie es sich spätestens bei meiner letzten Kolumne über Akkupressurmatten abgezeichnet hat, gehört nämlich product placement für mich inzwischen zu einer erfolgreichen Influencer Perfomance dazu, seit manche Beiträge von mir auf Facebook sogar hin und wieder über 10 Likes kriegen. Hier also: Autan Tropical, der exotische Chemiecocktail gegen alle heimischen und tropischen Mücken. Dann natürlich unser gutes, bodenständiges Fit für die Regentonne, ich habe es ausprobiert, wirkt sehr gut (bitte meiner Freundin nichts davon sagen), und zur symptomatischen Mückenstichbehandlung der „bite away“. Dieses Gerät sieht ein bißchen so aus wie der Star Trek Phaser The Next Generation oder wie ein Vibrator – je nach Fantasie. Vorne wird eine kleine runde Keramikscheibe erhitzt, die man auf den Mückenstich setzt. Die Hitze erzeugt einen so starken Gegenreiz zum Juckreiz, daß das Jucksignal gar nicht mehr ans Gehirn weitergeleitet wird, weil es nun brennt. Tolle Sache! Vorausgesetzt, man hält den Schmerz aus.