Es begab sich zu einer Zeit, als ein Bambusrollo in unsere Wohnung kam. Meine katholische Freundin hatte es auf der dunklen Seite des Versandhandels bestellt. Es war billig und wurde schnell geliefert von einem ausgebeuteten Mann des DHL. Hergestellt wurde es wahrscheinlich von Kindern, die mit ihren kleinen Händen den ganzen Tag Bambus ernten müssen, in einem Gebiet, das von Pandabären bevölkert gewesen war, bevor die Produktion von Rollos ihre Lebensgrundlage restlos zerstörte. Und als ob das nicht schon schlimm genug ist, sollte ich es auch noch über der Balkontür anbringen, anstatt eine schöne Kolumne zu schreiben. Und zwar aufgrund eines überholten Rolloklischees, das besagt, daß der Mann bohren und Rollos aufhängen soll. Mir ist schleierhaft, wie meine Freundin das alles mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte.
Natürlich denkt man ja landläufig auch, daß Intellektuelle kein Loch in die Wand kriegen. Ebenfalls ein Klischee. Denn es gibt Geistesmenschen, die nicht nur ihren Thomas Mann gelesen haben, sondern selbst in heiklen Situationen ein Loch in härteste Gemäuer bekommen. In gewohnter Bescheidenheit kann ich sagen, Löcher sind für mich kein Problem. Als ich sechzehn war, hat mir nämlich mein Vater erklärt, wie das mit den Löchern geht. Es war eine Art Initiationsritus. Wir gingen in den Keller, mein Vater drückte mir seine heilige Bohrmaschine in die Hand, die sonst Tabu war, und dann mußte ich damit bohren üben. Diese Geduld brachte er auf, weil er durch die Tatsache, daß ich sein Sohn bin, in seinem sozialen Umfeld aus gestandenen Handwerkern, sollte ich einmal gezwungen sein, in deren Gegenwart ein Loch zu bohren, nicht komplett blamiert werden wollte.
Es würde also eine schöne Überraschung werden, wenn meine Freundin von der Arbeit zurück nach Haus käme. Und siehe da, ihr Bohrprofi hat seines Amtes gewaltet. Alle Löcher gebohrt und Haken hineingeschraubt. Wie zu erwarten, kein Problem. Jetzt nur noch das Bambusrollo daran aufgehängt. Bisher hatte ich es in unserer Wohnung ausschließlich mit Schnapprollos zu tun. Die meisten werden es kennen. In der Welle, auf die der Rollostoff da gewickelt ist, befindet sich eine Feder. Sie wird automatisch gespannt, wenn man das Rollo runterzieht. Das Aufrollern erfordert manchmal etwas Übung. Zieht man es versehentlich, wie meine Freundin es oft tut, bis ganz nach unten, ergeben sich Schwierigkeiten mit dem Lösen der Arretierung. Die ruckhafte Bewegung, die dann ausgeführt werden muß, damit sich das Rollo wieder zurück auf seine Welle wickelt, ist ein hochkomplexes Spiel aus Körperanspannung und Bauchmuskulatur, das ich so gut beherrsche, daß meine Freundin allein deshalb noch ein Weilchen mit mir zusammenbleiben wird, weil ohne mich nie wieder Licht in ihr Zimmer käme.
Das Bambusrollo dagegen besaß, wie ich nun feststellte, sehr viele Schnüre, die zum Teil sehr undurchsichtig verknotet waren wie die Takelage einer chinesischen Dschunke. Wo war eigentlich die Bedienanleitung? Doch wie heißt es so schön: Lernen durch Tat! Ich knibberte zwei Knoten an den Schnüren auf, damit das Rollo sich abwickelte. Das tat es auch. Es wickelte sich komplett ab. Ich zog an den Schnüren. Nanu! Es wickelte sich offenbar nicht einfach auf. Aber Geduld. Ein Blick auf die Logik der Seilführung würde genügen, um ihre Funktionsweise schnell zu begreifen. Es handelte sich schließlich um ein Bambusrollo und nicht um ein Atomkraftwerk.
Nach zwei Stunden war es durchaus an der Zeit, im Internet nach einem Tutorial für Bambusrollos zu suchen. Auf Youtube gab es doch diese Influenzer. Man sollte keinen falschen Stolz aufkommen lassen und Hilfe annehmen, bevor die Freundin erscheint. Frauen mögen souveräne Männer, die in der Lage sind, ein Rollo eigenhändig zu installieren.
Als die Tür ins Schloß fiel und meine Freundin vor mir stand, konnte ich ihr zeigen, daß ich mein Bestes getan hatte. Das tun die Menschen in einer Behindertenwerkstatt allerdings auch. „Kein Problem“, sagte sie und streichelte mir gutmütig über den Kopf. Wäre mein Vater Zeuge dieses Moments geworden, er hätte Zweifel an seiner Vaterschaft. Zum Glück hatte ich dann doch noch den rettenden Einfall. Wie wäre es, bei Amazon einfach das gleiche Scheißrollo erneut zu bestellen, damit diese Scheißschnüre wenigstens wieder im Scheißoriginalzustand wären und nicht so total verheddert. Alles auf Anfang, sozusagen, statt Stunde Null des Bambusrollos. „Eine gute Idee, sagte meine Freundin, „aber erstmal probiere ich es selbst.“
Selbst? Na wenn sie meint. Soll sie selber sehen, wie sie weiterkommt. Gespannt schaute ich zu und gab, wie sie es bereits seit 19 Jahren von mir gewohnt ist, unterdessen viele hilfreiche Hinweise. Dabei konnte sie natürlich von meinen Erfahrungen profitieren, wie es definitiv nicht geht. Kein Wunder, daß sie nun ganz schnell die Schnüre richtig verknüpfte und rechts und links das Rollo in die Schlaufen einlegte, und das dank meiner Vorarbeit. Wir sind eben ein gutes Team.