Lesebühne Kreis mit Berg

Kleiner weißer Friedensputin

In einigen Umfragen hieß es, daß eine Mehrheit der Ostdeutschen gegen eine weitere militärische Unterstützung der Ukraine sei, für Waffenstillstand und für einen Frieden mit Rußland, koste es auch die Freiheit der Ukrainer. Schade, daß das Margot Honecker nicht mehr erleben durfte, denn damit wäre das Erziehungsziel, das sie, Minister für Volksbildung (damals hat man Berufsbezeichnungen tatsächlich noch nicht gegendert), für uns DDR-Kinder ersonnen hatte, so ziemlich aufgegangen.
Ich bin 1977 geboren und habe noch die entscheidenden Jahre als Jung- und Thälmannpionier in der DDR erlebt, wo ich zu einem friedliebenden Menschen erzogen wurde. Die Völkerfreundschaft stand bei uns hoch im Kurs, die deutsch-sowjetische Freundschaft sowieso, weshalb wir in der Schule mit großer Begeisterung Russisch gelernt haben. Aus diesem Grund können wir Putins Friedensappelle im russischen Staatsfernsehen auch im Original verstehen und müssen nicht alles unkritisch glauben, was uns die Mainstreammedien als „Übersetzung“ präsentieren.
Klar, der Frieden war auch bei uns im Osten nicht ganz ohne Waffen zu haben. Bereits im Kindergarten lernten wir das schöne Kinderlied: „Ich fahre einen Panzer - rattata rattata/ Ich fahre einen Panzer - rattata rattata rattatatata.“ Die Panzer unserer Volksarmee waren allerdings keine aggressiven Leopardpanzer, sondern T-55 und T-72, also klassische Friedenspanzer, die zum Glück in ausreichender Menge zur Verfügung standen, damit uns nicht die Faschisten aus Bonn überfielen. Mit diesem positiven Verständnis für Armee und Landesverteidigung lernten wir in der Schule auch das Lied: „Soldaten sind vorbeimarschiert, im gleichen Schritt und Tritt, wir Pioniere kennen sie und laufen fröhlich mit.“ Und jetzt alle: „Gute Freunde, gute Freunde, gute Freunde in der Volksarmee …“
Neben Schneeflöckchen Weißröckchen eines meiner Lieblingslieder.   

Meine Mutter mußte mir im Spielzeugladen unbedingt ein Exemplar des T-62 kaufen, obwohl sie das eigentlich gar nicht wollte. Aber ich wäre tottraurig gewesen ohne mein geliebtes Friedensspielzeug. Angetrieben von einer Flachbatterie konnte man mit der Kabelfernsteuerung sogar den Turm hin und her drehen. Mit den Ketten ließen sich auch wunderbar die Playmobilmännchen überrollen, die mir meine Oma aus dem Westen mitgebracht hatte. Das hat gefetzt. Meine Mutter hätte als Kindergärtnerin eigentlich wissen müssen, wie wichtig es für Heranwachsende ist, daß sie rechtzeitig erkennen, wo der Feind steht. Das hatte Margot doch klar und deutlich im Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten formulieren lassen: „Die Kinder sind zur Verachtung der Feinde der Völker zu erziehen, die den Frieden, die Sowjetunion und alle sozialistischen Länder bedrohen.“ (Quelle: Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten, S.216, 1985, Berlin)
Leider habe ich nicht mehr, wie die Jahrgänge vor mir noch, das Kleinkalibergewehrschießen bei der GST mitgemacht. Dort hätte ich, wenn ich es nicht schon gelernt hätte, erneut und wiederholt gelernt, daß der Frieden mit der Waffe in der Hand gegen die Kriegstreiber auf der Hardthöhe in Bonn, was dem Namen nach schon sehr hart klang, verteidigt werden muß. Der Vater meines Schulfreundes Thomas war Hauptmann der Reserve und hatte ein Abo der Armeerundschau. Dort stand ebenfalls, neben Nacktbildchen und sozialistisch korrekten Witzen, immer ein Artikel darüber drin, welche perfiden Angriffsvorbereitungen gegen den Warschauer Pakt heimtückisch von den Generälen in Bonn geschmiedet wurden. Und im Stabü-Unterricht ließ auch Frau Gotthart keinen Zweifel darüber gelten, wer den Weltfrieden bedroht: Es sind die AMERIKANISCHEN IMPERIALISTEN und ihr Angriffsbündnis, die NATO!!! Es sind dieselben dunklen Mächte von damals, die heute wieder mit ihren Waffenlieferungen das friedliche Rußland bedrohen. Das weiß doch jedes DDR-Kind. Und wenn man die Vorgeschichte wenigstens einmal zur Kenntnis nehmen würde, dann würde man begreifen, warum Rußland gar nicht anders konnte, als die von westlicher Scheinfreiheit verblendeten Brudervölker, denen es die russische Kultur gebracht hatte, mit minder oder mehr sanftem Druck zu unterwerfen. Wie hätte es sonst so groß und mächtig werden können, um dem dekadenten Westen die Stirn zu bieten? Denn letztlich ist es doch egal, unter welchem Imperialismus man als Mensch leben muß. Ob nun unter dem amerikanischen oder unter dem russischen. Für jemanden, der in der DDR sozialisiert worden ist, ist das doch gehupft wie gesprungen. Zugegeben, beim russischen Imperialismus wird einem als Ossi insgeheim doch etwas wärmer ums Herz. Kadyrow, übernehmen sie!
Und bei all dem wundere ich mich allerdings schon ein bißchen, warum ich trotzdem überhaupt gar keine Lust verspüre, mit Sahra Wagenknecht für Frieden und Putin auf die Straße zu gehen.
Wahrscheinlich habe ich nach der Wende zu viele Mars und Milky Way gegessen.