Vor kurzem bekam ich einen Anruf auf dem Festnetztelefon von einem Microsoftmitarbeiter. Er fragte mich, ob er Englisch mit mir weitersprechen könne. Soweit ich sein Englisch richtig verstand, wollte er wissen, ob ich einen Computer von Microsoft besitze. Er sprach Englisch wie der Inder aus der Zeichentrickserie Simpsons, ein sehr indisches Englisch: „Your computer is infected with a dangerous virus. You have a big problem. But I can help you.“
Da hatte ich wirklich nochmal Glück gehabt, daß mir so schnell Hilfe angeboten wurde. Allerdings kam es mir schon etwas seltsam vor, daß er mich erst nach dem Betriebssystem meines Computers fragen muß, um festzustellen, ob mein Computer einen Virus hat.
Man könnte an dieser Stelle annehmen, daß das vielleicht nicht ganz mit rechten Dingen zugeht. Aber muß man denn immer gleich mißtrauisch sein und den Menschen das Schlimmste unterstellen? Ich denke, ja. Wenn meine katholische Freundin mir gewaschenes Obst hinstellt, wasche ich es lieber nochmal, weil ich ihr nicht trauen kann, daß sie das Obst wirklich richtig gut abgewaschen hat. Am Ende kriegt man doch noch einen Fuchsbandwurm. Oder als einmal unangekündigt meine Mutter vor der Tür stand, habe ich mir erstmal ihren Personalausweis zeigen lassen, schließlich kann jeder behaupten, meine Mutter zu sein. Okay, das ist jetzt leicht übertrieben, aber es hätte trotzdem nicht geschadet, wenn sie mir ihren Personalausweis gezeigt hätte.
Deshalb war ich nun auch nicht mehr bereit, mir von dem Microsoftmitarbeiter helfen zu lassen. Vielmehr ging ich eher davon aus, daß es sich gar nicht um einen Microsoftmitarbeiter handelte, sondern womöglich um einen Telefonbetrüger. Obendrein war es auch kein guter Telefonbetrüger. Er kann nur solche Computer manipulieren, die mit einem Windows-Betriebssystem laufen, sonst würde er das ja nicht als erstes abfragen. Ich fragte ihn: „Do you know the TV-Show Nepper, Schlepper Bauernfänger“, um zu signalisieren, daß er bei mir an den Falschen geraten war, doch der Betrüger ließ sich nicht beirren und redete weiter auf mich ein.
Betrüger ist in diesem Zusammenhang vielleicht etwas zu unsensibel formuliert, denn immerhin handelte es sich um eine Person, die ökonomisch benachteiligt ist und die mit Hilfe von Techniken der Simulation diesen strukturellen Nachteil ausgleichen möchte. Da ich allerdings nicht übermäßig über materielle Ressourcen verfüge, konnte ich seinem Ansinnen nicht gänzlich aufgeschlossen gegenüberstehen. Mal ganz davon abgesehen, daß ich durchaus mehr Betrugskompetenz von dieser Person erwartet hätte. Auch als Mensch mit Eigentumsbenachteiligung könnte man sich etwas mehr Mühe geben und wenigstens einigermaßen gut die Sprache desjenigen beherrschen, den man bescheißen will. Aber irgendwie funktioniert es ja trotzdem. Wie ich herausgefunden habe, gibt es in Indien etliche Call-Center, die mit dieser Geschäftsidee viel Geld verdienen.
Herkömmlicherweise werden meist Rentner, die bereits leichte kognitive Defizite aufweisen, am Telefon reingelegt. Beliebt ist hierbei der berühmte Enkeltrick. Und dann liest man wieder in der Mitteldeutschen Zeitung: 80-Jährige auf Enkeltrick hereingefallen. Was dabei oft verschwiegen wird; der hinterhältigste Trick, um an Geld heranzukommen, besteht darin, tatsächlich der Enkel zu sein. Meine Oma hatte oft nicht den Hauch einer Chance. In diesem Fall setzt die Masche jedoch bei Telefonbenutzern an, die geistig noch so rege sind, um sich auf Englisch hereinlegen lassen zu können. Gut ausgebildete Rentner zum Beispiel, die ihr Englisch in Volkshochschulkursen regelmäßig auffrischen oder junge bis mittelalte, sehr vertrauensselige Personen aus der urbanen Elite. Da ist übrigens noch viel Potential anzusprechen. Viele von denen sind multilingual und könnten problemlos auf Französisch, Spanisch oder sogar Chinesisch übers Ohr gehauen werden. Dummerweise reicht dafür nicht mal mein Englisch aus. Selbst wenn ich dem indischen Callcenter auf den Leim gegangen wäre, wie hätte ich es auf Englisch schaffen sollen, eine Schadsoftware aus dem Internet herunterzuladen, sie dann auch noch richtig zu installieren, damit tatsächlich mein Computer so blockiert wird, daß ich gezwungen bin, Geld auf ein indisches Konto zu überweisen, um wieder an meine Daten zu gelangen?
What should i do? Sorry I dont understand. Can you repeat please. What do you mean? Downloaden? But - äh - but how?, sagte ich schließlich, und es war nicht einmal gespielt, so daß der freundliche Inder am anderen Ende der Leitung einfach entnervt auflegte.
Frau Hildebrandt, meine Lehrerin im Englisch Leistungskurs, hatte also doch recht: Lernt Fremdsprachen, das könnt ihr euer ganze Leben lang gut gebrauchen!