Neulich hatte ich eine Analvenenthrombose. Ob dieser Satz mal zu den berühmten ersten Sätzen zählen wird? Im Anfang war das Wort. Ein Gespenst geht um in Europa. Neulich hatte ich eine Analvenenthrombose. An dieser Stelle kann man die Lektüre übrigens immer noch abbrechen. Mit den Interessierten indes begebe ich mich nun auf eine Reise ans Ende der Nacht oder ins Herz der Finsternis bzw. ins Enddarmzentrum Halle, in die Schwerpunktpraxis Proktologie. Ich hatte mir nämlich ganz schön was eingeprokt (Haha). Immerhin kann ich aufgrund dieser Erfahrung den einen oder anderen Gesundheitstipp geben. Zum Beispiel: Schön viel trinken. Mindestens zwei Liter am Tag. Oder: Niemals auf dem Klo lesen. Das geht oft nach hinten los. Doch po à po der Reihe nach.
Erst habe ich gedacht, das kannst du getrost aussitzen. Sitzen ist überhaupt eine meiner ganz großen Stärken. Normalerweise. Und anfangs möchte man den Gang zum Proktologen ja eher vermeiden. Ich zumindest. Andere mögen da offener sein. Extrovertierter. Einfach mal zeigen, was man hat. Nach ein paar Tagen Leiden war ich dann auch ziemlich locker drauf und rief in der Ambulanz an. „Ich hab da, äh, also da unten was“, beschrieb ich nüchtern und präzise mein medizinisches Problem. Schon am nächsten Tag bekam ich einen Termin im Endarmzentrum. Wie gesagt, man sollte sich nicht scheuen. Ich nahm im Wartezimmer Platz, wo bereits ein paar männliche und auch weibliche Personen mit Poproblemen zu sitzen versuchten. Die Coronamaßnahmen mögen nicht jedem gefallen, aber das ist doch auch mal ein Vorteil, daß man beim Proktologen sitzen darf mit einer Maske im Gesicht, quasi undercover in geheimer Mission.
Eine Analvenenthrombose kriegt man übrigens nicht von Astra Seneca. Da kann ich schon mal alle beruhigen. Im Gegensatz zu einer Genirnvenenthrombose ist sowas am Hintern auch komplett ungefährlich. Wenngleich nicht unerheblich. Napoleon soll die Schlacht von Waterloo verloren haben wegen einer Analvenenthrombose. Das Gesicht von Europa wäre ein anderes geworden, wenn es nicht am Hintern gelegen hätte.
Nach ungefähr zwei Stunden Wartezeit bekam ich meine Audienz beim Oberproktologen des Endarmzentrums: „Sie können die Maske absetzen, wenn sie wollen“ bot er mir an. Ich wollte eigentlich nicht. Denn er trug keine. Und wer weiß, was er in den letzten Tagen alles so eingeatmet hatte, aus diversen Öffnungen. Er wird allerdings bestimmt schon geimpft sein, also fragte ich: „Sie sind bestimmt schon geimpft.“ Nein, er sei aber getestet. „Och, dann würde ich die Maske lieber aufbehalten.“ Er würde jedoch gerne mein Gesicht sehen, bevor er das andere Ende von mir in Augenschein nehme. Ich hätte ihm den Anblick ja gerne erspart, aber wenn er unbedingt wollte. Wir saßen uns obenrum entblößt gegenüber. Er fragte, welche Medikamente ich schlucke und ob ich sowas Ähnliches schonmal gehabt habe. Dann reichte er mir einen Zettel mit der Überschrift: Allgemeine Hinweise zur Stuhlregulation. Unterpunkt: Bildung von weichem Stuhl. Ich würde in der nächsten Zeit sehr viel an meinem Stuhl regeln müssen. Ob ich es schonmal mit indischen Flosamen probiert hätte? Ich schüttelte mit dem Kopf. In den letzten Jahren probierte ich es eher mit französischem Rotwein, italienischen Nudeln und Schweizer Schokolade. Mein Stuhl war härter als Rambo.
Dann fragte er mich nach meinem Beruf und als ich diesen traurigen Umstand offenbart hatte, fragte er mich, so als Autor, was ich von der Aktion der Schauspieler gegen die Coronamaßnahmen halte. In einer solchen Situation möchte man es sich jedoch nicht mit seinem Proktologen verscherzen. Was sollte ich also sagen? Natürlich hatte ich zu dieser Aktion eine Meinung. Ich war ganz klar weder dafür noch dagegen. Doch für jemanden, der dagegen oder dafür ist, ist das ja auch wieder nicht okay. Er fand die Aktion nämlich sehr ironisch und treffend. Endlich werde über die Maßnahmen breit diskutiert. Die Kinderpsychiatrie im Haus nebenan sei voll. Warum habe Frau Merkel keine Kinderpsychologen in ihrem Beraterteam? Das konnte ich ihm auch nicht beantworten, versicherte jedoch, daß ich bei der nächsten Gelegenheit mal mit ihr sprechen werde.
Was ich auch oft festgestellt habe, nicht immer funktioniert Ironie. Die Zeit für Diskussionen war aber schon wieder vorbei, denn nun mußte ich die Hosen runterlassen. Ich nahm auf einem Stuhl Platz, der wahrscheinlich auch als Gynäkologischer Stuhl zu gebrauchen war, stellte meine Füße auf die dafür vorgesehen Fußschalen, und wurde dann mit Hilfe der Hydraulik in die Richtige Position gebracht, damit der Proktologe einen guten Einblick hatte, ohne sich den Rücken zu belasten. Schlußendlich sagte er noch einen der prägendsten Sätze in der Geschichte der Medizin: Das könnte jetzt ein bißchen weh tun.
Im Großen und Ganzen muß ich aber sagen, war dieser Tag im Krankenhaus eine schöne Abwechslung. Ich war ja seit längerem schon nicht mehr draußen gewesen und habe auch seit Wochen kein Gespräch mehr geführt mit jemandem außerhalb meines engen Umfeldes. Ob ein Selfie nach dem ersten Proktologentermin auch so viele Likes bringt wie nach dem ersten Impftermin?
Im Anschluß der Behandlung mußte ich zweimal am Tag duschen, eine Vlieskompresse auflegen und ein seltsames Netzhöschen überziehen, in dem ich so erotisch aussah wie ein Netz Frühkartoffeln, die in dieser Jahreszeit sehr gut zum Spargel passen. Und jedes Mal, wenn ich aus dem Bad kam, begrüßte mich meine katholische Freundin mit: Na, bist du wieder polochtief rein?
Habe ich ihr eigentlich schonmal gesagt, daß ich die Analscherze über mich lieber selber mache?
Andererseits, bei diesem Anblick war es ihr auch zu gönnen.