Ab und zu Google ich mich selbst. Nicht aus Eitelkeit, sondern um zu schauen, ob mal wieder ein Beitrag von mir Internet zu finden ist, der meine Bedeutung als Schriftsteller angemessen zu würdigen weiß. Aus diesem Grund bin ich auch mit gutem Beispiel vorangegangen und habe meinen Wikipedia-Eintrag selber geschrieben. Später gesellten sich noch ein paar Online-Artikel aus der Mitteldeutschen Zeitung hinzu, ein sicheres Zeichen dafür, daß es mit meiner Karriere in Sachsen-Anhalt steil nach oben geht. Wenn ich nun meinen Namen eingebe, bin ich bei Google sogar an erster Stelle gelistet. Etwas ernüchtert war ich allerdings, als ich feststellte, daß eine solche Positionierung auch jedem anderen Provinzautor, den ich Sachsen-Anhalt kenne, gelungen ist. Einzige Ausnahme, mein Lesebühnenkollege Peter Berg. Google hat sich in seinem Fall für den berühmteren Peter Berg entschieden, einen amerikanischen Regisseur von Actionfilmen, der mehrfach die Goldene Himbeere für den schlechtesten Film des Jahres bekam.
Dicht auf meinen algorithmischen Fersen sind mir seit Jahren auch andere Christian Kreise. So zum Beispiel Christian Kreis, der Verkaufsleiter der Lidl Vertriebs GmbH und Co. KG in Dettingen an der Iller. Er besitzt ein Profil auf dem Berufsportal Xing, nur so läßt sich seine virtuelle Existenz überhaupt rechtfertigen. Um mich bei Google zu überholen, müßte er jedoch schon der oberste Chef von Lidl werden. Er könnte freilich auch ein spektakuläres Verbrechen begehen und berühmt werden als Christian Kreis der Ripper von Dettingen an der Iller. Kann doch sein, daß er Talente besitzt, die man ihm auf seinem Foto bei Xing erstmal gar nicht ansieht? Auf frühen Fotos von Stalin, Sadam Hussein und Friedrich Merz sieht man das ja auch noch nicht. In meinem Führerschein gibt es wiederum ein Foto, das sehr deutlich zeigt, was mal in mir gesteckt hat. Meine Freundin bekam es deshalb erst zu sehen, als unsere Liebe schon einigermaßen gefestigt war. Es ist in schwarz-weiß und ich trage darauf einen Seitenscheitel, der mich aussehen läßt wie mein Großvater bei der Hitlerjungend. Dieses Foto wäre genaugenommen ein sehr nachvollziehbarer Trennungsgrund. Vor allem, wenn man bedenkt, daß ich damals tatsächlich so aussehen wollte. Warum hat der Fotograf mich nicht vor diesem Bild gewarnt? Fünfundzwanzig Jahre später muß ich nun immer noch, wenn ich ein Auto anmieten will, das Foto meines Führerscheins vorzeigen, der in diesem Zusammenhang durchaus zurecht so heißt. Neulich passierte es wieder bei Sixt. Ich kramte meinen „Führer“schein raus und meine Freundin machte dazu einen lockeren Spruch, um die Peinlichkeit der Situation zu überspielen. In etwa: Erschrecken sie nicht, mein Freund sieht auf dem Foto ein bißchen so aus wie das letzte Aufgebot des Führers beim Endkampf um die Reichshauptstadt. Die Mitarbeiterin von Sixt lächelte und sagte, „ach, so schlimm ist es gar nicht. Er sieht doch ganz nett aus.“ Entweder täuschte sie in diesem Moment nur eine professionelle Freundlichkeit vor, was in Dienstleistungsberufen ja hin und wieder mal vorkommen soll, oder sie steht tatsächlich auf Rechtsradikale, was für das Image von Sixt auch nicht unbedingt vorteilhaft ist.
Immerhin, sehr viele Fotos existieren aus meiner Kindheit und Jugend nicht, und keines davon ist digital. Wer heutzutage Pech hat, von dem kursieren irgendwann sehr viele süße Windel- und Töpfchenfotos, die von den eigenen Eltern bei Instagramm reingestellt worden sind, weil sie ihre Kinder offenbar überhaupt nicht leiden können. Es kann aber auch passieren, daß man von Google ein Foto zugeteilt bekommt, das einen gar nicht abbildet. Wem so viel Relevanz eingeräumt wird, sich beim Selbergoogeln auch selbst zu finden, der wird nämlich irgendwann festgestellt haben, daß es auf der ersten Seite von Google links am Bildschirm eine Infobox gibt, die der an oberster Stelle gelisteten Person automatisch das zu ihr gehörige Foto zuordnet. Außer, sie tut einem diesen Gefallen eben nicht. Und so sah ich neulich auf einmal aus wie der Verkaufsleiter der Lidl Vertriebs GmbH und Co. KG in Dettingen an der Iller. Peter würde dazu anmerken, daß ich mich damit offenkundig nur verbessert hätte. Mag sein. Aber ich kann mich weder mit dem Anzug, noch mit der Krawatte und auch nicht mit dem Lächeln von diesem Christian Kreis identifizieren. Man sieht einen Menschen, der bereit ist, fleißig und solide seinem Beruf nachzugehen. Das paßt doch überhaupt gar nicht zu mir. Es ist, als hätte ich mein Herz gegen einen Stein ausgetauscht, meinen Schatten verloren, mich in Zwergnase verwandelt oder mein Lächeln verkauft, ich bin schlicht nicht mehr ich selbst, zumindest im digitalen Raum.
Gibt es eine Rettung? Unter der Infobox findet sich ein Link mit dem Wortlaut: Informationen dieser Infobox bearbeiten. Ich drückte auf diesen Link und gelangte auf eine Seite, wo mir offeriert wurde: „Zeig dich von deiner besten Seite. Mit dieser Funktion hast du die Gewissheit, dass deine Zielgruppe richtige, seriöse und interessante Informationen über dich erhält. Du kannst Änderungen an den Informationen in der Google Suche vorschlagen – das gilt auch für Bilder, Statistiken und sonstige Fakten.“
Das klang gut. Es klang wie meine visuelle Rettung. Doch was versteht Google unter „vorschlagen“? Heißt das, wenn ich Google Änderungen vorschlage, muß es noch nicht bedeuten, daß diese Änderungen auch akzeptiert werden?
Ich drückte auf ein blaues Rechteck, nun hieß es: „Teilen Sie uns mit, warum Sie Anspruch auf dieses Knowledge Panel erheben.“ Ich schilderte das Verwechslungsproblem mit den Fotos, und erklärte ihnen, daß ich doch der berühmte Christian Kreis bin, für den sie dieses Knowledge Panel einzig und allein angelegt haben. Danach wurde ich aufgefordert: „Laden Sie ein Selbstporträtfoto ("Selfie") hoch, auf dem Sie einen amtlichen Lichtbildausweis in der Hand halten, z. B. Führerschein oder Personalausweis.“ Seit kurzem ist mein Personalausweis abgelaufen. Das gültige Dokument, das ich zeigen kann, ist mein Führerschein! Aber mit dem Bild, was dort zu sehen ist, könnte ich höchstens Anspruch erheben auf das Knowledge Panel von Horst Wessel. Mit Google hat man es manchmal nicht leicht als Promi.